Zwischen Startblock und Schulbank
Von Marlies Van Eeckhoudt & Neele Niehausmeier / Kantonsschule Freudenberg / Oktober 2025
Sie trainieren wie Spitzensportler, gehen aber noch zur Schule: Junge Leistungssportlerinnen stehen im Spannungsfeld zwischen schulischem Erfolg und sportlichen Ambitionen. Förderstrukturen sollen helfen, den Spagat zu meistern – doch nicht alle Sportarten profitieren gleich.
Bücher auf einer Laufbahn, Symbolbild. (Foto: Marlies Van Eeckhoudt)
Zwei Stunden hat Mia Müller (Name geändert) schon auf der Tartanbahn Runden gedreht, nun schlägt sie das Französischbuch auf. Es ist 9 Uhr morgens. Fünf Lektionen Schule liegen vor ihr. Danach hat sie noch eine Einheit Krafttraining. Ein ganz normaler Donnerstag im Leben der 16-jährigen Mehrkampf-Leichtathletin.
Mia Müller besucht das Sportgymnasium in Zürich. Dadurch kann sie Schule und ihre sportliche Karriere besser vereinen und neu auch morgens vor der Schule trainieren. Bis vor einem Jahr besuchte Mia noch ein normales Gymnasium in der Stadt Zürich. Weiterhin wird von ihr als Sporttalent jedoch viel gefordert, sehr wichtig ist ihr dabei die Unterstützung ihrer Familie, ohne welche die vielen Trainings und Wettkämpfe kaum vereinbar wären.
«Meinen Eltern ist wichtig, dass es in der Schule gut läuft. Sonst unterstützen sie den Sport nicht», meint sie im Interview.
Mia Müller ist eine engagierte Leichtathletin, die schon in jungen Jahren grosse sportliche Erfolge feiern durfte. Ihren bisher grössten Triumph erlebte sie beim Gewinn des UBS Kids Cup Finals 2024 – einem bedeutenden Wettkampf für Nachwuchsathletinnen und -athleten. Der Sieg war das Ergebnis harter Arbeit: Bis zu sieben Trainings pro Woche stehen bei ihr auf dem Programm. Die Einheiten sind klar strukturiert und kaum flexibel.
Unterstützt dich dein Verein auch schulisch, indem er beispielsweise Rücksicht auf Schulstress nehmen?
Im Ungefähren wissen meine Trainer und Trainerinnen Bescheid, wann wir viele Prüfungen haben. Aber sie nehmen darauf nicht wirklich Rücksicht.
Wie zeigt sich das?
Die Antwort, der Betreuenden lautet, man solle sein Zeitmanagement verbessern, weil man es schon schaffen würde, wenn man seine Freizeit gut aufteilt. Sie wollen vermeiden, dass du nicht ins Training kommst. Ich bin Mehrkämpferin, was bedeutet, dass ich mittwochs in meiner Gruppe Training habe und die Einzelkämpferinnen nicht, weshalb sie am Mittwochnachmittag zusätzlich lernen können.
Welche Einstellung setzt dein Verein voraus?
Es wird erwartet, dass Leichtathletik die wichtigste Rolle im Leben spielt, wer krank ist, darf fehlen, wer «lernen muss» hingegen nicht.
Das verlangt von den Jugendlichen nicht nur körperliche Leistungsfähigkeit, sondern auch ein ausgeprägtes Zeitmanagement. Da in einem Sportgymnasium weniger Lektionen pro Wochen in der Schule stattfinden, müssen sehr viel mehr Hausaufgaben und Vorbereitungen auf Prüfungen selbständig in der Freizeit stattfinden und einen Grossteil des Schulstoffs lernt man allein zu Hause. Ein weiterer Unterschied sind die Maturprüfungen, welche über zwei Jahre verteilt werden, um den Stress zu verringern. Dadurch braucht man aber ein Jahr länger, um das Gymnasium abzuschliessen.
Trotzdem sei die Atmosphäre motivierender als an ihrer früheren Schule: Die Mitschülerinnen und Mitschüler seien ehrgeiziger, zielorientierter und hätten alle denselben Traum – sich selbst eine sportliche Karriere zu ermöglichen.
Was gibt es sonst noch für Unterschied zu deiner alten Schule?
Etwas Spezielles ist, dass jeder Sportschüler und jede Sportschülerin einen Mentor hat. Mit dieser Person spricht man dann über sportliche Leistungen, die Entwicklung, persönliche Anliegen und wie es in der Schule läuft.
Wie oft finden diese Gespräche statt?
Diese Gespräche finden in einem Abstand von jeweils zwei Monaten statt. An unserer Schule haben wir drei Mentoren und sie alle betreuen mehrere Sportarten. Falls man eine Dispens braucht, kann man dort ebenfalls nachfragen.
Fördern statt fordern
Doch nicht alle Sportarten erfahren die gleiche Förderung von Bund. Das zeigt sich etwa beim Tennis. Der Sport ist in der Schweiz sehr populär, dadurch geniesst diese Disziplin viel Aufmerksamkeit. Auch beim Schwimmen und Volleyball ist dies der Fall und die Leichtathletik liegt im Vergleich klar im Nachteil.
Das merkt Mia Müller. «Ich habe das Gefühl, Leichtathletik wird weniger gefördert», sagt sie. «Wir bekommen weniger Talent Cards, und man muss aufgrund begrenzter Plätze und grösserer Konkurrenz deutlich mehr Leistung erbringen, um in den Nationalkader zu kommen.»
Diese sogenannten Talent Cards gelten in der Schweiz als offizieller Nachweis, dass ein junger Mensch zum sportlichen Nachwuchskader gehört. Sie sind Voraussetzung für Fördergelder, Trainingsdispensen und finanzielle Unterstützung. In Sportarten mit klaren Verbandsstrukturen oder hoher medialer Präsenz werden sie häufiger vergeben, in der Leichtathletik dagegen seltener.
Bei Swiss Athletics sind ca. 12'500 Leichtathleten und Leichtathletinnen registriert. Im Hauptkader der Schweiz sind 2025 71 Athleten und Athletinnen.
«Alle geben gleich viel, aber nicht alle bekommen gleich viel zurück», ärgert sich Mia.
Trotz aller Herausforderungen ist Mias Motivation ungebrochen. Sie träumt von dem Matur und – hoffentlich eines Tages – von der Teilnahme and den Olympischen Spielen. Doch sie weiss auch, dass dieser Weg hart ist, besonders in der Leichtathletik.
Das Stadium Letzigrund während des Diamond Leage Finales. (Foto: Mia Müller)
Dies zeigt deutlich die gemeinsamen Vorteile eines solchen schulischen Angebots, welche, ungeachtet der ausgeübten Sportarten, alle geniessen können. Zum Beispiel profitieren alle von der Flexibilität des Stundenplans des Sportgymnasiums und können dadurch mehr trainieren. Die grössere Anzahl der Trainingseinheiten ist jedoch nicht der einzige Faktor, welcher gute Trainingsergebnisse beeinflusst. So können sich auch genügend Schlaf und Essgewohnheiten positiv auf die Resultate auswirken.
Hast du einen regelmässigen Schlafrhytmus?
Nicht wirklich, vor allem in Prüfungsphasen wird es unregelmäßig, weil ich dazu neige, das Lernen bis zum letzten Moment aufzuschieben. Dann sitze ich oft bis spät in die Nacht über dem Stoff und schlafe kaum, was natürlich nicht ideal ist. An normalen Tagen ist es etwas besser, aber durch Schule und Hausaufgaben gerät mein Schlaf trotzdem oft durcheinander.
Hast du für die Ernährung bestimmte Vorgaben, oder isst du einfach, was du gerne magst?
Also ja, was ich gerne mag, esse ich. Von der Schule aus bekommen wir keinen Ernährungsplan, aber natürlich erinnern sie uns regelmässig daran, dass man sich gesünder ernähren sollte. Und im Verein gibt es nach dem Krafttraining, welches einen grossen Teil unseres Trainings einnimmt, immer Proteinshakes. Ich mag diese aber nicht besonders und trinke sie praktisch nie. Gesunde Ernährung wird vom Verein erwartet. Restriktionen wie zum Beispiel, dass wir keinen Zucker essen dürfen, gibt aber es nicht.
Hat deine Schule denn eine Mensa, die darauf eingestellt ist, und dir bei der gesunden Ernährung hilft?
Nicht wirklich, da wir nur eine Mensa haben, welche wir zusätzlich mit anderen Schulen teilen. Unsere Mensa ist nicht besonders gut darum esse ich nie dort. Es gibt auch nur sechs Mikrowellen, aber die sind immer alle kaputt und man muss mindestens 20 Minuten warten, um etwas aufzuwärmen.
Wenn Talent nicht ausreicht
Mia ist überzeugt, dass die Leichtathletik in den letzten Jahren zunehmend besser unterstützt wird. Besonders das gemeinsame Kadertraining sieht sie als grossen Fortschritt, weil es Austausch und Motivation fördert. Dennoch ist sie der Meinung, dass die finanzielle Förderung gerechter zwischen den Sportarten verteilt werden sollte und noch Verbesserungspotential besteht.
Hast du ein paar Tipps an die jüngeren Leichtathleten und Leichtathletinnen?
Ja, ich würde sagen: einfach dranbleiben. Es lohnt sich, immer alles zu geben und zu überlegen, was man besser machen kann, auch wenn es manchmal hart ist, sollte man nie aufgeben.
Was ihre eigene Zukunft betrifft, wünscht sich Mia eine, welche Leichtathletik beinhaltet, sie möchte sich für alle Fälle aber durch die Matur absichern. Der Grund dafür ist, dass es schwierig ist, sich weltweit durchzusetzen, wenn man national noch nicht an der Spitze steht. Trotzdem glaubt sie, dass Erfolg mit Zeit, Geduld und kontinuierlichem Einsatz wachsen kann. Gleichzeitig ist ihr bewusst, dass Leichtathletik kein sicherer Beruf ist und Verletzungen die Laufbahn jederzeit beeinflussen können.