Wenn Identität zur Kunst wird – Ein Blick hinter die Kulissen von Drag
Von Chiara Perron & Hilda Aldurén / Kantonsschule Freudenberg / Oktober 2025
Zwischen Glitzer, Kunst und gesellschaftlichem Aufbruch: Die Drag-Szene in Zürich hat sich in den letzten Jahren von einer Nischenkultur zu einem festen Bestandteil des städtischen Nachtlebens entwickelt.
Foto: Julie Alejandro Yzquierdo, Aufführung von Mona Gamie
Was einst in kleinen Clubs begann, ist heute eine vielfältige, selbstbewusste Gemeinschaft, die Kreativität, Mut und queere Identität öffentlich feiert. Der genaue Ursprung des Wortes Drag ist unbekannt, viele sehen es jedoch als Abkürzung für «Dressed Resembling A Girl/Guy». Drag gibt es schon seit dem 16.Jahrhundert, als sich Männer in einer Frauenrolle auf der Bühne zeigten. Eines der frühesten Beispiele ist die traditionelle japanische Kabuki-Theaterform. Doch ist Drag auch eine Form politischen Ausdrucks? Und wie sieht die Dragszene heutzutage in Zürich aus?
Tobias Urech, besser bekannt als Mona Gamie, ist seit zwölf Jahren in Zürich als Dragqueen unterwegs. Sie begann 2013 mit 18 Jahren in der queeren Jugendorganisation Milchjugend mit Drag. Mona Gamie ist charmant, humorvoll und nostalgisch. Sie liebt es, das Publikum zum Lachen zu bringen und verbindet Humor und Gesang mit ihrem historischen Wissen und einem spielerischen Blick auf Geschlechterrollen. Neben der Bühne setzt sie sich seit Jahren für die queere Community ein und schreibt an ihrer Doktorarbeit in Geschichte.
Mona Gamie, wie erleben Sie den Moment, wenn Sie auf die Bühne treten?
Auf der Bühne fühle ich mich frei, lebendig und voller Adrenalin. Ich liebe es, Menschen zu unterhalten und dramatische Lieder zu singen über die Liebe und das Leben. Oft ist es ein befreiendes Gefühl – als würde ich eine Seite von mir zeigen, die sonst keinen Platz hatte.
Wie lange dauert es, bis Sie zu Mona Gamie werden?
Die Verwandlung dauert etwa zwei Stunden: Kontaktlinsen, Make-up, zwei Lagen Strumpfhosen, BH mit Polstern, Kleid, Nägel – und manchmal schadet ein halbes Glas Weisswein auch nicht. Mir ist wichtig, früh vor Ort zu sein und keinen Stress zu haben.
Wie hat sich diese Figur im Laufe der Jahre entwickelt?
Am Anfang war ich noch unsicher und alles war sehr improvisiert – Brockenhaus-Kleider, schlechte Schuhe, schlechtes Make-up. Mit der Zeit wurde Mona selbstbewusster, professioneller und klarer als Figur: eine Diva mit Humor, Gesang und Kabarett-Elementen.
Wie sind Sie zum Drag gekommen?
2013 suchte eine queere Jugendorganisation Drag Queens – ich habe mich spontan gemeldet, neugierig und ohne Erfahrung.
Wie entstand Ihr Name Mona Gamie?
Ich wollte unbedingt ein Wortspiel als Namen haben, so wie viele andere Dragqueens. Ich fand die Namen «Mona Gamie» oder «Polly Gamie» witzig. Am Ende habe ich das Pseudonym Mona gewählt, weil mir dieser Name besser gefiel als Polly.
Die Drag-Szene in Zürich ist in den letzten Jahren sichtbarer und professioneller geworden und spricht ein breiteres Publikum an. Es gibt heute grössere Shows und Formate wie das Drag Fest Switzerland in Zürich, in dem Drag-Künstler:innen aus In- und Ausland auftreten.
Foto: Michael Schmid, Aufführung von Mona Gamie.
Wie haben Ihre Familie und Freunde auf Ihre Drag-Karriere reagiert?
Sehr positiv. Meine Eltern hat es nicht sehr gewundert, da ich zuvor schon ein Outing hatte, als ich ihnen erzählt habe, dass ich schwul bin. Sie sind stolz auf mich und kommen auch oft an Shows von mir. Meine Freunde und Freundinnen sind meine grössten Fans und kommen fast immer zu meinen Auftritten.
Wie hat sich die Drag-Szene in Zürich verändert?
Als ich vor zwölf Jahren damit anfing, war die Szene klein, viele Lokale mussten aufgrund geringer Nachfrage schliessen. Heute gibt es viel mehr Queens, Kings und alles dazwischen – die Szene ist lebendiger und diverser geworden.
Wie reagieren Menschen in Zürich auf Drag?
Sehr offen, besonders das Publikum, dies liegt womöglich auch daran, dass die Szene politisch eher links ist. Ich zeige mich so gut wie nie als Dragqueen auf der Strasse, aber mein Eindruck ist, dass Akzeptanz und Interesse zugenommen haben.
Drag ist nicht nur eine Kunstform, sondern auch ein Zeichen für queere Sichtbarkeit und Rechte. Mit Humor und Kreativität stellen sie Stereotype in Frage und setzen ein Zeichen für Akzeptanz und Gleichberechtigung.
Ist Drag eher Unterhaltung oder politisches Statement?
Beides. Drag unterhält, aber ist gleichzeitig ein politischer Ausdruck über Geschlecht, Freiheit und Identität.
Mit welchen Vorurteilen haben Drag Queens zu kämpfen?
Besonders vonseiten konservativer Gruppen gibt es viele Vorurteile. Vor drei Jahren stürmte eine rechte Gruppe mit Fackeln eine Vorlesung von Drag-Storytimes (Lesungen für Kinder). Ihr Ziel war es, die Kinder vor den «bösen» Dragqueens zu schützen, jedoch verängstigten sie sie viel mehr.
Die Drag-Szene in Zürich zeigt, wie kreativ und offen die Stadt ist. Mona Gamie beweist, dass Drag nicht nur Glitzer ist, sondern auch Mut, Humor und Persönlichkeit. Drag lädt uns ein, unsere Geschlechteridentität spielerisch zu sehen und Vielfalt zu feiern – und genau das macht sie so besonders. Mona Gamies grösster Traum ist es mal mit ihrem Pianist, einem grossen Flügel und einem glamourösen Kleid im Opernhaus aufzutreten.