Unsichtbare Arbeit, sichtbare Anerkennung – Sakibe Sabani an der Kantonsschule Freudenberg

Von Joel Kaufmann & Max Spiegler / Kantonsschule Freudenberg / Oktober 2025

 

Sakibe Sabani putzt an der Kantonsschule Freudenberg. Trotz der geringen Wertschätzung, die der Branche oft entgegengebracht wird, wird ihre Arbeit an der Schule gesehen.

Sakibe Sabani. (Foto: Max Spiegler)

Unattraktive Arbeitszeiten, Rand- und Nachtschichten, prekäre Verträge, wenig Anerkennung: Kaum eine Branche bündelt so viele Problemfelder wie die Reinigung. In der Öffentlichkeit bleibt sie weitgehend unsichtbar; in den Schlagzeilen dominieren Berichte über Missstände. Die Tätigkeit ist zugleich hart und körperlich belastend.

Gemäss Arbeitgeberverband Allpura arbeiten in der Schweiz rund 80 000 Menschen in gut 5 000 Betrieben der professionellen Gebäudereinigung; der Grossteil davon in der Deutschschweiz – ein Marktvolumen von rund 4 Milliarden Franken. Abendschichten und Arbeit ausserhalb der Schul- und Bürozeiten gehören vielerorts zum Alltag. Gleichzeitig gilt in der Deutschschweiz ein allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsvertrag (GAV), der Mindeststandards bei Löhnen, Arbeitszeit und Ferien garantiert.

Auch die körperliche Belastung ist real: Repetitive Bewegungen, Treppenreinigung, schweres Heben und Tragen belasten Rücken und Gelenke. Die Suva warnt seit Jahren vor muskuloskelettalen Beschwerden und zeigt in Videos konkrete Präventionsmassnahmen – etwa ergonomische Hebetechniken.

 

Von Nordmazedonien nach Zürich

Eine von ihnen ist Sakibe Sabani. Die 53-Jährige ist Reinigungskraft und Teamleiterin im Hauptgebäude der Kantonsschule Freudenberg, seit bald neun Jahren. «Ich bin sehr zufrieden und ich fühle mich von Kolleginnen, Chefin und Lehrpersonen geschätzt. Ich arbeite gern im Freudenberg.»

Sabani wurde im Dorf Kališta bei Negotino in Nordmazedonien geboren und wuchs in Tetovo auf. Mit 18 kam sie in die Schweiz, «weil mein Mann hier arbeitete». Heute besitzt sie seit über 20 Jahren den Schweizer Pass; seit mehr als 30 Jahren lebt sie hier. «Am Anfang sprach ich kein Deutsch. Ich habe viel durch den Alltag gelernt – etwa, als ich meine kranke Schwiegermutter zu Terminen begleitete.»

Putzwagen von Sakibe Sabani. (Foto: Max Spiegler)

 

In den Beruf fand sie über verschiedene Stationen: «Vor dem Freudenberg habe ich zehn Jahre in einer Privatresidenz in Oerlikon gearbeitet, bei Senevita – Reinigung und Wäscherei. Dann habe ich mich an der Kantonsschule Freudenberg beworben, und es hat auf Anhieb geklappt.» Heute arbeitet Sabani in einem 100-Prozent-Pensum, Montag bis Freitag, 11.00 bis 19.45 Uhr. Die Pausen sind kurz, die Verantwortung gross: «Ich organisiere das Team, vertrete Kolleginnen, wenn jemand krank ist, und sorge dafür, dass alles läuft.»

Die Internationalität zeigt sich im Team besonders deutlich: «Wir sind sehr gemischt: Kolleginnen aus der Dominikanischen Republik, Sri Lanka und Malaysia; drei von uns sprechen Albanisch, zwei sind aus dem Kosovo; dazu kommen Kolleginnen aus Griechenland und Bosnien. Mit den Frauen der Nachbarschule, dem Liceo Artistico, machen wir jeden Tag gemeinsam Mittagspause. Das ist schön», sagt Sabani und lächelt. Vielfalt sei für sie ein Gewinn: «Ich lerne gern von anderen Ländern und arbeite gern im Team.»

Trotz vielem Positiven gibt es Belastungen. «Am anstrengendsten finde ich den Rückenstaubsauger – davon bekomme ich Rückenschmerzen. Auch Treppenwischen ist körperlich ermüdend», sagt sie. Und sie hat eine Bitte an die Schülerschaft: «Wenn im Mikrowellenraum Essen ausläuft, sagt es uns lieber sofort. Sonst laufen alle darüber, und wir haben danach die doppelte Arbeit.»

Anerkennung erhält Sabani nach eigener Erfahrung regelmässig: «Lehrerinnen und Lehrer zeigen sich oft erkenntlich und sagen: Danke für deine Arbeit. Das freut mich. Und wenn ein Schüler oder eine Schülerin für Strafstunden kommt und anständig arbeitet, macht mich das richtig froh.» Besonders schätzt sie die Solidarität im Team: «Wenn jemand freiwillig hilft, bevor ich fragen muss – das ist für mich ein schöner Moment.»

 

Regeln und Realität

Wie passt diese positive Geschichte zu den «Hard Facts»? Ein Teil der Antwort liegt in den Strukturen: Für die professionelle Gebäudereinigung in der Deutschschweiz setzt der GAV verbindliche Leitplanken – von Mindestlöhnen über Zuschläge bis zu Arbeitszeitregeln und Ferienansprüchen. Der Vertrag wird von den Sozialpartnern gemeinsam getragen (Arbeitgeberverband Allpura sowie Unia, Syna, VPOD) und ist staatlich für allgemeinverbindlich erklärt. 2023 vereinbarten die Sozialpartner eine Erhöhung der Mindestlöhne um 3 Prozent ab 2024. Das schafft nicht automatisch Idylle – aber es setzt Standards, die Missbrauch erschweren und Anerkennung fördern.

Grosse Halle in der KFR. (Foto: Max Spiegler)

2021 zählte das Bundesamt für Statistik für die formellen Bereiche rund 107 000 Reinigungskräfte in Haushalten, Hotels und Büros; nicht erfasst sind direkt von Privathaushalten angestellte Hilfen und ein nach wie vor verbreiteter informeller Sektor. Hier fehlen oft verbindliche Standards, wodurch die Wahrscheinlichkeit problematischer Arbeitsbedingungen steigt.

Sabanis Realität an der Kantonsschule Freudenberg deutet auf einen Gegenentwurf: feste Strukturen, planbare Zeiten, klare Zuständigkeiten, direkter Kontakt zu Lehrpersonen und Schülerschaft – Sichtbarkeit statt Unsichtbarkeit. Gerade die Organisation macht einen Unterschied: Wo Bereiche zugeteilt, Abläufe koordiniert und Teams gehört werden, steigt die Wertschätzung – eine Beobachtung, die auch Präventionsleitfäden staatlicher Stellen stützen.

 

Ankommen und weitergeben

Sabanis Biografie erzählt eine transnationale Geschichte, wie sie für Zürich typisch ist. «Ich lebe hier, aber ich besuche so oft wie möglich meine Mutter in Mazedonien», sagt sie. Zürich ist zur Heimat geworden; die Verbindung in den Balkan bleibt lebendig. «Ich bin dankbar für meine Arbeit und für meine grosse Familie», fasst sie zusammen.

Auffällig ist ihre Hilfsbereitschaft – auch über den Arbeitsplatz hinaus. Die eigenen Startschwierigkeiten in der Schweiz motivieren sie, anderen den Weg zu erleichtern: «Wenn jemand neu in der Schweiz ist und einen ähnlichen Job sucht, helfe ich zuerst beim Deutschlernen und dann bei der Arbeitssuche. Ich habe schon vielen Frauen Jobs vermittelt; auch meine früheren Privatreinigungen habe ich an Kolleginnen weitergegeben.» Solche informellen Unterstützungsnetze – Empfehlung, Anruf, Weitergabe – sind in migrantischen Gemeinschaften zentral und wirken oft verlässlicher als jede Plattform.

Bleibt die Frage, ob Sabanis Erfahrung die Regel ist. Realistisch betrachtet lautet die Antwort: noch nicht. Zu vielfältig sind die Beschäftigungsformen, zu gross die Unterschiede zwischen GAV-gebundenen Firmen, Temporärarbeit, Subunternehmerketten oder privaten Haushalten. Doch ihr Beispiel zeigt, wie es gehen kann: wenn Regeln gelten, Teams zusammenhalten und Arbeit sichtbar wird – im Kontakt auf Augenhöhe.

Am Ende wünscht sich Sabani keine grossen Gesten, sondern kleine Zeichen der Rücksicht: ein kurzer Hinweis, wenn etwas ausgelaufen ist; Respekt im Alltag; und die Einsicht, dass Sauberkeit nicht von selbst entsteht. «Ich gebe jeden Tag mein Bestes», sagt sie. «Wenn das gesehen und geschätzt wird, bin ich glücklich.»

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