Strassennamen als Erinnerungsort – Wo bleiben die Frauen?
Von Mia Fierz & Anouk Voss / Kantonsschule Hohe Promenade / November 2025
Strassennamen spielen eine wichtige Rolle bei der Erinnerung und Ehrung von verstorbenen Persönlichkeiten. In der Stadt Zürich sind 54 von 447 nach Personen benannten Strassen weibliche Namen. Gegen das Vergessen von einflussreichen Frauen will die Stadt Zürich nun kämpfen.
Das Schild der Rudolf-Brun-Brücke, eine Erinnerung an den ersten Bürgermeister Zürichs. (Foto: Ela Çelik)
Es ist Montagnachmittag, und die Rudolf-Brun-Brücke ist wie immer stark besucht. Ein kleines metallenes Schild am Anfang der Brücke weist auf die Namensgebung dieser Brücke hin. Rudolf Brun, erster Bürgermeister der Stadt Zürich, wird so an der wohl prominentesten Brücke Zürichs geehrt. Er förderte das Handwerk, schuf die Zünfte und trug damit zum Eintritt in die Eidgenossenschaft bei. Hier soll an ihn und seine Taten erinnert werden.
Strassennamen, die nach berühmten Persönlichkeiten benannt sind, fördern das kollektive Gedächtnis und tragen zur Identität einer Stadt bei. Ohne dies zu merken, wird damit die Erinnerung Teil unseres Alltags. Wer durch Zürich spaziert und sich ein wenig auf Strassennamen fokussiert, merkt jedoch auch, dass kaum Frauen vertreten sind. Viele Bürgerinnen und Bürger wünschen sich deshalb mehr weibliche Namensgebungen. «Frauen sind die grossen Vergessenen in der Geschichte,» sagt Nesrine Ghulam vom Kollektiv L’Escouade im Interview mit Tsüri.
Eine Komission, die entscheidet, wo man wohnt
Es es ist ein langer Weg, bis es zur Benennung einer Strasse oder eines Platzes kommt. Viele Kriterien müssen berücksichtigt und akzeptiert werden. Die Strassennamen der Stadt Zürich sollen bestmöglich einen Bezug zum Quartier oder zur Stadt haben. Es darf weder einen Namen doppelt geben, noch darf ein Name einer noch immer lebenden Person vergeben werden. Ideen für verschiedene Namen darf jeder einbringen. Zudem muss der Quartierverein mit der Namensgebung einverstanden sein. Erst dann kommt der Vorschlag zum Stadtrat, der die ausschlaggebende Entscheidung trifft.
In der Stadt Zürich sind 447 der Strassennamen von insgesamt 2505 Namen wirkenden Persönlichkeiten gewidmet. 54 von diesen 447 nach Menschen benannten Strassen tragen weibliche Namen. Viele Menschen finden das zu wenig. So sagt Frau Ghulam in einem Interview mit Tsüri: «Sind die Strassen nur nach Männern benannt, so bleibt auch die Geschichtsschreibung männlich dominiert, obwohl es viele Frauen gibt, die Teil der Geschichte sind und Wichtiges geleistet haben.»
Die Strassenbenennungskommission der Stadt Zürich spricht sich grundsätzlich gegen die Umbenennung von Strassen aus, da es für die Orientierung nicht hilfreich ist. Ausserdem müssten Bewohner, der umbenannten Strasse, die Adresse auf all ihren Papieren ändern.
Die meisten neuen Strassen werden in den Aussenquartieren Zürichs gebaut, sodass Frauen „nur“ dort verewigt werden. Zürichs Innenstadt wird kaum mehr verändert; die Strassen sind seit Ewigkeiten nach damals einflussreichen bedeutenden Männern benannt. Was nachvollziehbar klingt, ist trotzdem nicht so gerecht, wie es scheint, so Walter Angst, 21 Jahre lang Gemeinderatsmitglied der Alternativen Liste: «Das ist einfach schamhaft, wenn einfach irgendeine Strasse nach einer Frau zu benennt.»
Die Bertastrasse wird Berta Rahm gewidmet. (Foto: Privat)
Zürich als Hüterin der Moral
In den letzten Jahren gab es jedoch immer mehr politische Vorstösse zur Änderung der Namensgebung von Strassen und Plätzen, sie alle betrafen die in Frage gestellte Integrität der Persönlichkeiten. Die nach dem ersten Bürgermeister benannte Brücke, die Rudolf-Brun-Brücke, wird in Frage gestellt wegen des Judenpogroms 1348, zu welcher Zeit Rudolf Brun Bürgermeister war. So haben zum beispielsweise 2022 Aktivist*innen aus dem Juso Umfeld die Brücke kurzerhand über Nacht in Minne-Brücke umbenannt - als Zeichen gegen Antisemitismus, Rassismus und Kolonialismus, wie der Tages Anzeiger berichtete. Dagegen wird jedoch oft argumentiert, dass diese Namen ein Ausdruck einer bestimmten Zeit sind und somit einen historischen Wert haben. Man könnte sie also als Zeitzeugen der Vergangenheit betrachten.
Das Thema der Umbenennung der Brücke steht schon lange zur Debatte. So kam es 2022 zum Vorschlag der Alternativen Liste, die Rudolf-Brun- Brücke in Frau Minne, eine einflussreiche Jüdin zur Zeit, Rudolf Bruns umzubenennen. Welche Rolle er bei der Judenverfolgung spielte, ist unklar; jedoch ist sein Profit an den jüdischen Habseligkeiten bekannt. Seine Integrität wird dadurch stark hinterfragt. Bei dem Vorschlag geht es darum, die Opfer dieser Zeit zu erinnern und die Stadt dazu aufzufordern, ihre Geschichte zu reflektieren und dazu zu stehen. «Dieses noble Zürich ist derart verleugnet und steht nicht zu seiner Geschichte, wo es sich doch darstellt als die Hüterin der Moral», so Walter Angst. Es geht aber auch darum, eine bedeutende Frau zu ehren, so Walter Angst: «Wenigstens eine prominente Brücke in Zürich sollte nach einer Frau benannt sein.» Der Vorschlag wurde aber klar abgelehnt, sodass es beim Namen Rudolf-Brun-Brücke blieb.
Neue Tendenzen zu mehr weiblichen Namen
2020 startete der Genfer Verband L’Escouade das Projekt 100Elles. Das Projekt will die Gleichstellung fördern und die Geschichte der Frau sowie deren Bedeutung in Genf sichtbar machen. Dafür wurden 2021 zehn Strassen nach historisch bedeutenden Frauen umbenannt. Auch die Stadt Zürich nimmt die Kritik der mangelnden Zahl weiblichen Strassennamen zur Kenntnis und versucht, dies zu beheben.
Im Stadtteil Wiedikon gibt es einige Strassen, die nach weiblichen Vornamen benannt sind, so wie die Bertastrasse, die Martastrasse, die Idastrasse und noch viele weitere. Nun hat die Strassenbenennungskommission nachträglich Frauen, welche diesen Namen tragen und Bedeutendes zur Zürcher Gesellschaft beigetragen haben, mit diesen Strassen erinnert. So wurde beispielsweise die Idastrasse Ida Schneider, der Mitgründerin der schweizerischen Pflegerinnenschule, gewidmet.
Seltener kommt vor, dass eine Strasse oder ein Platz noch keinen Namen hat. 2020 wurde jedoch ein Platz der ersten in den Stadtrat gewählten Frau überhaupt Emilie Liebherr gewidmet. Sie gilt als grosses Vorbild für unzählige Frauen in der Schweiz und wird nun mit dem Emilie-Liebherr-Platz an der Langstrasse im Kreis 5 erinnert.
Die Idastrasse wird Ida Schneider gewidmet. (Foto: Privat)
Den meisten Bewohnern der Stadt Zürich ist es nicht bewusst, wie wichtig die Erinnerungskultur für die Identität einer Stadt ist. Die Benennung von Strassen und öffentlichen Plätzen spielt dabei eine sehr grosse Rolle. Die Namen der Strassen, Plätze und Brücken erinnern uns an schon längst vergangene Ereignisse und Personen, die Zürich prägten. In den letzten Jahrhunderten wurden fast keine Strassen nach Frauen benannt, doch das soll sich nun ändern.
Laut Renata Schild, der Leiterin der Kanzlei des Sicherheitsdepartements Zürich, setzt sich die Strassenbenennungskommision sehr für eine Verbesserung der weiblichen Strassen- und Platznamen ein. Sie sagt: «Wann immer möglich, werden neue Strassen und Plätze nach einer Frau benannt.»
Die Zahl 54 dürfte also in den nächsten Jahren noch weiter steigen.