ReparArtur – ganz machen, macht glücklich

Von Zelda Freuler / Kantonsschule Freudenberg / Oktober 2025

 

Kaputt? In Arturs Werkstatt ist das kein Grund zum Wegwerfen! Artur macht es wieder ganz. Oder noch besser: Er kann alten Gegenständen mitten im Zürcher Kreis 6 ein zweites Leben geben. Er kann eine kaputte Waschmaschine Zuckerwatte produzieren lassen.

Artur mit Kundin (Privates Bild)

 

Wenn man den kleinen Laden an der Zürcher Universitätsstrasse 112 betritt, sieht man vielleicht ein altes, rotes Fahrrad. Eine schwarze, handbetriebene Nähmaschine mit goldenen Verzierungen, welche jedoch defekt zu sein scheint. Oder ein braunes, rundes Lederkonstrukt, bei dem man sich unsicher ist, was es darstellen soll. Vielleicht fällt einem aber auch irgendeiner der unzähligen weiteren Gegenstände auf, die kaputt sind und irgendjemand wegwerfen wollte. Hier ist jedoch alles wieder wertvoll: Es wird repariert oder auf eine geniale Weise recyclet.

Als nächstes begegnet man wahrscheinlich Luna. Die Hündin ist ein wichtiges Mitglied des Teams. Sie begrüsst jede Person, die den Laden betritt. Gewöhnlich liegt sie im Schaufenster und hat allein deshalb schon so manche Kundschaft in den Laden gelockt. So ist sie in der Nachbarschaft des Kreis 6 bekannt und beliebt.

Wenn Sylvia im Laden ist, wird man zuerst von ihr begrüsst. Der Amerikanerin gehört der Eingangsbereich, wo sie die Büroarbeit erledigt, Buch führt und sich mit den Kundinnen und Kunden unterhält, natürlich per Du. Es kann allerdings gut sein, dass man im Gespräch unterbrochen wird, weil im hinteren Teil des Ladens, ein Rumpeln, Quietschen oder Poltern zu hören ist. Dort, hinter dem Tresen ist der Ort, wo die Magie geschieht.

Eingangsbereich von Arturs Werkstatt. (Privates Bild)

Artur, der Ehemann von Sylvia, der Handwerker des Ladens und das wichtigste Mitglied von Arturs Werkstatt, ist stets damit beschäftigt, etwas Kaputtes wieder ganz zu machen. Zwischen seinen Werkbänken hat er jegliche Geräte von Hammer bis zur Holzsäge und festinstallierten Maschinen. Dort ist er den ganzen Tag am Nageln, Hämmern, Raspeln, Kabel neu verküpfen und noch vieles weiteres, von dem nur Erfahrene wissen, was passiert. Fast alles macht er von Hand, denn er hat im ganzen Laden nur zwei elektrisch-betriebene Maschinen. «Ich liebe es Sachen kaputt aufzufinden- dann kann ich sie reparieren.» Artur, Sylvia und Luna zusammen verstehen sich als Team. Es braucht alle, damit es funktioniert.

Von Eriwan bis nach Zürich

Der Armenier hat schon seit seiner Kindheit eine Passion fürs Werken. Am Stadtrand von Eriwan, der Hauptstadt von Armenien, wo Artur aufwuchs, war vieles anders, erzählt er. Wenn etwas kaputt war, warf es seine Familie nicht weg. Artur tüftelte ein wenig und machte es wieder ganz. Oder er kreierte etwas ganz Neues daraus, wie etwa, als er zwölf Jahre alt war. Da funktionierte er eine alte Waschmaschine zu einer Zuckerwattenmaschine um. Er hatte zuerst durch Beobachtungen gelernt. «Nach der Schule am Nachmittag schaute ich immer durch das Fenster eines Fachmanns und beobachtete ihn stundenlang bei der Arbeit, bis er mich eines Tages hineinliess und mich Stück für Stück selbst zu einem Meister machte», sagt Artur. Einen offiziellen Abschluss oder ein Diplom habe er nie gemacht, dafür war keine Zeit.

Ende der 1990er Jahre wanderte er aus. Die Regierung war instabil und nicht vertrauenswürdig. Mit der geschwächten Wirtschaft, der Korruption, Energieknappheit und vielem mehr bot Armenien nicht viel für einen jungen Menschen wie Artur.

Zuerst ging er in die Niederlande, zog dann aber weiter nach Wien. Dort arbeitete er als Schuhmacher und im Schlüsseldienst. Dank den Schlüsseln lernte er auch Sylvia kennen. Sie hatte den Schlüssel ihrer Mutter, welche in Wien wohnte, verloren. Artur wurde gerufen. Später hohlte sie ihn nochmals, weil sie wieder ihren Schlüssel verloren hatte. So fanden die beiden zueinander. Nun gibt Sylvia allerdings zu, dass der Schlüssel die ganze Zeit in ihrem Rucksack war.

Reparaturen aller Art

Sylvia wohnte schon eine Weile in Zürich, und Artur beschloss, mit ihr zu gehen. Nach kurzer Zeit heirateten die beiden und starteten ihr gemeinsames Leben. Dass er keinen Abschluss hatte, bereitete ihm allerdings Schwierigkeiten.

Es dauerte lange, bis er eine feste Stelle fand. Doch kaum angefangen, kam die Pandemie und er verlor auch diese wieder. So entschied er, das Risiko einzugehen und einen eigenen Laden zu eröffnen. Durch Zufall fanden sie ihren jetzigen Standort.

Artur am Arbeiten. (Privates Bild)

Zwischen Nagelsalon, Restaurants und Coiffeur war ein Laden für «Reparaturen aller Art» genau das, was der Nachbarschaft noch fehlte! Derselben Meinung war auch die Vermieterin des Lokals und ebenso die Bewohner und Bewohnerinnen aus dem Quartier. Es war eine schwere Zeit voller Unsicherheiten, doch Artur und Sylvia vertrauten einander und schafften Es. In 2021 eröffneten sie endlich Arturs Werkstatt.

Natürlich gab es immer noch viele Schwierigkeiten: die Sprache, die vielen Gesetze, die andere Mentalität. Doch Sylvia kannte sich schon ein bisschen besser in der Schweiz aus und durch ihr Teamwork überwanden sie alle Probleme. Sie hatten auch schöne Erfahrungen in der Anfangszeit. Die Nachbarn begrüssten Artur mit Geschenken: Essen, Kognak aus Armenien, Nähmaschinen und mehr. Heute bringen sie ihm sogar Mitbringsel mit, wenn sie aus den Ferien zurückkehren.

Von der Schubkare ins Schaufenster

Artur trägt ein hohes Risiko, einen eigenen Laden zu betreiben. Er arbeitet sieben Tage die Woche. Doch das stört ihn nicht. Wenn er nicht repariert, upcycelt er. In der Wegwerfgesellschaft der Schweiz, wo das Pro-Kopf-Abfallaufkommen im Jahr über 700 Kilogramm beträgt, ist für Artur etwas wegzuwerfen, undenkbar. So geht er mit seiner Schubkarre zur Stolzewiese, wo jeden Monat die Kehrrichtanlage vorbeikommt, lädt auf, was er noch brauchen kann, bringt seine Funde in den Laden und gibt ihnen dort, anders zusammengebaut, ein neues Leben. Die Werkstatt läuft und er liebt, was er tut.

Auf die Frage, ob er Pläne oder Ziele für die Zukunft habe, antwortet Artur: «Wenn es so bleibt, wie es jetzt ist, ist es perfekt.»

Zurück
Zurück

«Die Schweiz wurde mein Projekt – und dann meine Heimat»

Weiter
Weiter

Vier von zehn Gästen in Zürich sind aus der Schweiz