«Die Schweiz wurde mein Projekt – und dann meine Heimat»
Von Fiona Schiersing & Ronja Jenni / Kantonsschule Freudenberg / Oktober 2025
Der Portugiese Emanuel Barros tauschte Sonne gegen Schnee, Pastéis de Nata gegen Käse. Er suchte eine neue Herausforderung und fand sie in der Schweiz. Heute lernt er Deutsch, isst Raclette und nennt die Schweiz sein Zuhause. Für ihn ist Integration kein Zufall.
Raclette und Pastéis de Nata – beide Spezialitäten geniesst Emanuel Barros in der Schweiz. (Foto: mit KI generiert.)
Portugiesen und Portugiesinnen sind mit 257'258 Einwohnenden die drittgrösste Ausländergruppe in der Schweiz. Ein Grossteil der portugiesischen Einwanderer und Einwanderinnen arbeitet im Gast- und Baugewerbe. Jedoch scheint sich hier ein Wandel zu vollziehen. Immer mehr Portugiesen und Portugiesinnen mit einer höheren Schulbildung kommen für besser bezahlte Arbeitsstellen in die Schweiz.
Emanuel Barros ist selbst gebürtiger Portugiese, Anfang 30, und arbeitet seit zwei Jahren als IT-Consultant bei einer Schweizer Firma. Durch den Umzug erlebte er, wie es ist, sich ein neues Umfeld in der Schweiz aufzubauen, wenn man aus dem Ausland hierherkommt. Im Gespräch erzählt er, wie er die Schweizerinnen und Schweizer und das Land erlebt. Seine Aussagen wollte er nicht mit einem Porträtbild illustrieren. Vielen Schweizer Bürgern wird vorgeworfen, dass sie kalt und fremdenfeindlich sind. Doch denken wirklich alle so?
Neustart mit guten Aussichten
Warum sind Sie, Emanuel Barros, in die Schweiz gekommen?
Ich wollte sehen, was es draussen in der Welt gibt. Ich brauchte eine neue Herausforderung. In Portugal war mit der Zeit alles immer gleich. Ich hatte drei Jobangebote: eines in den Vereinigten Staaten, eines in Dubai und eines in der Schweiz. Die USA sind zum Arbeiten zu unsicher, wegen fehlender sozialer Absicherungen, und Dubai war mir zu weit weg. Also wurde die Schweiz meine neue Heimat. Sie liegt mitten in Europa. Ich kann, wenn ich möchte, mit dem Auto in kurzer Zeit fünf Länder besuchen: Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien und Liechtenstein.
Was vermissen Sie an Portugal?
An Portugal vermisse ich zwei Dinge: das Wetter und das Essen. Der Rest fehlt mir überhaupt nicht.
Wenn ich jetzt nach Portugal fahre, habe ich das Gefühl, mein Leben in der Schweiz zurückzulassen. Dabei habe ich noch Kontakt zu meiner Mutter, meinem Bruder und meinen besten Freunden, die in Portugal leben.
Vom Süden in die Alpen
Was ist in der Schweiz anders als in Portugal und wie hat sich Ihr Alltag verändert?
In Portugal habe ich jeden Tag auswärts gegessen. Hier kann man das zwar auch, aber es kostet ein Vermögen. In Portugal braucht man für alles ein Auto. In der Schweiz benutze ich vor allem den Öffentlichen Verkehr, da dieser fast perfekt ist. Und eine Sache ist mir aufgefallen.
Was ist Ihnen aufgefallen?
Ich gehe jeden Tag zum Bäcker und hole mir einen Espresso. Die Verkäuferin überraschte das. Sie nennt mich inzwischen schon beim Namen. Es scheint eine kulturelle Sache zu sein, dass die Leute nicht jeden Morgen beim selben Bäcker einen Kaffee trinken gehen.
Ankommen und dazugehören
Wie haben Sie den Weg in die Schweizer Gesellschaft erlebt?
Ich habe festgestellt, dass sich die meisten Portugiesen nicht unter die Einheimischen mischen wollen. Das ist nicht ganz mein Ding. Ich wollte mich integrieren. Deshalb habe ich, bevor ich in die Schweiz gekommen bin, angefangen Deutsch zu lernen. Inzwischen versuche ich mich manchmal auch im Schweizerdeutschen. Jedes Mal, wenn ich sage, dass ich Schweizer Freunde habe, sagen die Leute: «Oh! Wie ist das möglich?»
Und wie ist Ihnen dies gelungen?
Mein Freundeskreis besteht zur Hälfte aus Ausländern und zur anderen Hälfte aus Schweizern. Ich habe angefangen hier Kontakte zu knüpfen, mir einen Freundeskreis aufzubauen. Dabei hat mir dir App Meetup (https://www.meetup.com/de-DE/apps/ ) geholfen. Sie bietet viele Veranstaltungen an, bei denen man sich einfach unterhalten kann.
Es wird immer wieder gesagt, dass Schweizer lieber unter sich bleiben wollen. Aber man muss verstehen, dass die meisten Expats sich nicht einmal darum bemühen, sich zu integrieren. Sie lernen die Sprache nicht und essen kein Raclette.
Emanuel Barros arbeitet seit zwei Jahren in der Schweiz. (Foto: mit KI generiert)
Zwei Kulturen, zwei Mentalitäten
Was hat Sie an den Schweizern überrascht?
Die erste Frage, die mir oft gestellt wird, ist: «Wie lange bleibst du eigentlich?» Beim Dating fragen auch viele, ob ich nur wegen des Geldes hier sei und dann wieder gehe. Ich verstehe das irgendwie, aber gleichzeitig nehme ich das etwas persönlich, denn wir haben uns gerade erst kennengelernt. Was mich überrascht hat, ist, dass man sich gegenseitig in die Augenschauen muss, wenn man anstösst.
Was unterscheidet Schweizer und Portugiesen?
Die Menschen sind emotional viel zurückhaltender. In Portugal sind wir da offener. Unsere Begrüssungen sind auch gegenüber Fremden überschwänglich und emotional.
In der Schweiz lädt man auch seine Nachbarn nur zu einer Party ein, damit sie nicht reklamieren.
Und sonst?
Am Anfang dachte ich, dass die Parkplätze hier gratis wären. Es stellte sich dann heraus, dass sie recht teuer sind. Zudem hat mich überrascht, dass alle Englisch können. Vielen ist es sogar lieber, wenn man mit ihnen Englisch anstelle von Hochdeutsch spricht. Dies macht es schwieriger Deutsch zu lernen. Deshalb versuche ich mich jetzt am Schweizerdeutschen.
Wie kommt das an?
Da gibt es zwei Arten von Schweizern. Die einen sagen: «Hey, du sprichst Schweizerdeutsch. Mach weiter so!» und die anderen sagen: «Nein, Emanuel! Du wirst niemals Schweizerdeutsch sprechen.»
Leben, arbeiten, durchatmen
Wie würden Sie die Lebensqualität der Schweiz beschreiben?
Ich kann sagen, dass die Lebensqualität in der Schweiz insgesamt besser ist. Die Ausgaben sind deutlich höher, aber die Gehälter und Ersparnisse ebenfalls.
Ich möchte meine Familie und Freunde an dem, was ich mir hier aufgebaut habe, teilhaben lassen. Deshalb habe ich sie für Weihnachten aus Portugal in die Schweiz eingeladen. Wir haben zusammen Raclette gegessen und darauf gewartet, dass es schneit. Was ich beim Raclette festgestellt habe, ist, dass es nicht um das Essen selbst geht. Es geht vielmehr darum, vier Stunden lang ununterbrochen zu reden und einfach zu essen, und dann merkt man, wie dick man geworden ist.
Haben Sie zuvor schon einmal Schnee gesehen?
Bevor ich in die Schweiz gezogen bin, habe ich in meinem Leben nur viermal Schnee gesehen. In den zwei Jahren habe ich auch mit Snowboarden angefangen. In der Schweiz fahren alle entweder Snowboard oder Ski. Dabei habe ich bemerkt, dass Skifahrer denken, sie seien besser als Snowboarder, und dass sie dies auch zeigen.
Emanuel Barros hat in der Schweiz Snowboarden gelernt. Foto: mit KI generiert
Zwischen zwei Welten
Was würden Sie jemandem sagen, der von Portugal in die Schweiz ziehen möchte?
Wenn du von Portugal in die Schweiz ziehst, lerne Schweizerdeutsch. Verkehre nicht so viel mit den Saisonarbeitern, denn die sind meistens nur sechs, sieben Monate in der Schweiz und kehren dann in ihre Heimat zurück, um dort wie Könige zu leben. Es ist schwierig ein festes Umfeld aufzubauen, wenn deine Freunde alle sechs Monate gehen.
Und einem Schweizer geben, der nach Portugal ziehen möchte?
Wenn du von der Schweiz nach Portugal ziehst, wirst du ein König oder eine Königin sein. Ich würde auch ein wenig Portugiesisch lernen, da viele nicht so gut Englisch können. Du wirst auch richtig dick werden, wegen des Essens. Erwarte auch nicht zu viel Organisation. Verlasse dich nicht auf die Verkehrsmittel und nicht darauf, dass die Leute pünktlich kommen.
Schweizern wird vorgeworfen kalt und fremdenfeindlich zu sein, doch Emanuel Barros ist da anderer Meinung. Man muss sich aber auch Mühe geben, denn die meisten Expats bleiben unter sich. Integration ist kein Zufall und Emanuel Barros ist ein perfektes Beispiel dafür, dass eine Integration in der Schweiz möglich ist.
Für eine klarere Kommunikation haben wir das Interview mit Emanuel Barros auf Englisch geführt, da er noch dabei ist, Deutsch zu lernen.