Leistung ohne Pause – Wie Schulstress Jugendliche an ihre Grenzen bringt

Von Yven Honegger & Carl Widmann / Kantonsschule Limmattal / November 2025

 

Abende voller Aufgaben, Wochenenden ohne Pause: Für viele Jugendliche hört die Schule nie wirklich auf. Zwischen Leistungsdruck und Erschöpfung bleibt kaum Raum zum Durchatmen und der Preis dafür ist oft die eigene Gesundheit.

Bild: Pixabay

 

Es ist 23 Uhr, der Bildschirm leuchtet noch. Zwischen aufgeschlagenen Heften und herumliegenden Arbeitsblätter sitzt ein Jugendlicher am Laptop. Die Augen sind schon lange müde, der Kopf überlastet, doch am Morgen wartet die nächste Klassenarbeit. Schnell noch eine Aufgabe fertig machen, noch ein Kapitel wiederholen, obwohl der Körper längst nach Schlaf schreit. Der Tag war lang, die Konzentration längst nicht mehr vorhanden. Trotzdem flackert das Licht weiter, Seite um Seite wird umgeblättert, bis irgendwann die Zahlen und Wörter verschwimmen.

Solche Nächte sind kein Einzelfall. Immer mehr Jugendliche verbringen ihre Abende damit, den wachsenden Druck der Schule irgendwie zu bewältigen. Zwischen Hausaufgaben, Prüfungen und hohen Erwartungen bleibt kaum noch Zeit zum Entspannen. Statt Freizeit oder Erholung gibt es Todo-Listen, Lernpläne und das ständige Gefühl, nicht genug zu leisten.

Dabei sollte das Leben eines Jugendlichen unbeschwert sein, eine Zeit zum Entdecken, Lachen, Ausprobieren. Doch für viele ist es längst eine Zeit voller Stress, Schlafmangel und innerer Anspannung geworden. In der Schule wird kaum darüber gesprochen, wie sehr dieser Druck auf die mentale Gesundheit wirkt. Und doch betrifft es fast alle: Schüler, die Tag für Tag funktionieren müssen, obwohl sie innerlich längst an ihre Grenzen stossen.

Viele Schüler:innen der Kantonsschule Limmattal kennen genau diese Abende. In einer schulinternen Umfrage, bei der 50 Schüler und Schülerinnen teilgenommen haben, gaben die meisten an, erst zwischen 21 und 23 Uhr wirklich abschalten zu können, wenn überhaupt. Selbst dann kreisen die Gedanken oft noch um Prüfungen, Noten oder unerledigte Aufgaben. Freizeit beginnt spät, Erholung ist selten.

Auch das Lernen bis in die Nacht ist längst zur Gewohnheit geworden. «Trifft eher zu» oder gar «Trifft zu» lauteten die häufigsten Antworten auf die Frage, ob man abends noch lernt, obwohl man eigentlich schon müde ist. Viele Schüler beschreiben ein Gefühl ständiger Erschöpfung, einige sprechen sogar von einem «Leben im Dauerstress»

Woher dieser Druck kommt, wissen die Jugendlichen genau: Noten, Leistungsanforderungen und eigene Erwartungen stehen ganz oben auf der Liste. Einige nennen auch Lehrpersonen oder Eltern als Mitverursacher, doch der stärkste Druck scheint von ihnen selbst zu kommen. Das ständige Streben nach guten Ergebnissen, nach Anerkennung und Sicherheit, lässt kaum Raum für Fehler oder Pausen. Die Folgen zeigen sich jeden Morgen: Müdigkeit, Gereiztheit, Motivationsverlust. Auf die Frage, wie sie sich nach einer kurzen Nacht fühlen, antworteten viele schlicht mit «erschöpft» oder «wie von einem Lastwagen überfahren» Diese Worte klingen drastisch und doch spiegeln sie den Zustand vieler Jugendlicher wider, die Tag für Tag funktionieren, obwohl sie eigentlich Ruhe bräuchten.

Fast alle Befragten gaben zudem an, zu wenig Zeit für sich selbst zu haben. Zeit, um Dinge zu tun, die guttun: Sport, Freunde, Musik, einfach mal nichts. Stattdessen bestimmen Schulaufgaben den Alltag. Freizeit wird zum Luxus. Noch besorgniserregender: Die meisten finden, dass in der Schule zu wenig über mentale Gesundheit gesprochen wird. Nur wenige meinten, das Thema werde ausreichend behandelt. Damit bleibt psychische Belastung oft unsichtbar, ein stilles Problem hinter guten Noten und vollen Stundenplänen.

Dabei wissen die Jugendlichen sehr wohl, was sich ändern müsste: Weniger Prüfungsdruck, weniger Fokus auf Noten, mehr Offenheit im Umgang mit Stress. Einige wünschen sich Projekte oder Stunden, in denen über mentale Gesundheit gesprochen wird, andere fordern schlicht: «Mehr Verständnis.» Ihre Antworten zeigen, wie deutlich sich die junge Generation nach Entlastung sehnt. Schule soll nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch ein Ort sein, an dem man lernen darf, ohne daran zu zerbrechen.

Auch die Schulpsychologin, Luise Franke, der Kantonsschule bestätigt: Schulstress ist ein weit verbreitetes Thema unter Jugendlichen. Viele kommen wegen Überforderung, Zeitmangel und zu dichtem Prüfungsplan zu ihr. «Drei Prüfungen in einer Woche sind für viele längst normal», sagt sie. Nach langen Schultagen bleibe kaum Zeit für Erholung, Lernen verlagere sich in die späten Abendstunden. Dadurch fehle den Jugendlichen jene Regeneration, die für mentale Gesundheit entscheidend sei.

Oft dauerten die Schultage so lange, dass sie mit einem regulären Arbeitstag kaum mehr vergleichbar seien, erklärt sie. Während Erwachsene nach acht oder neun Stunden Feierabend haben und abschalten können, beginne für viele Jugendliche der «zweite Arbeitstag» erst danach mit Hausaufgaben, Prüfungsvorbereitung und Projekten. «Viele sitzen noch am Abend über ihren Unterlagen, obwohl sie schon seit dem frühen Morgen in der Schule sind», sagt sie. Auch das Wochenende biete kaum Entlastung, weil Lernstoff nachgeholt oder auf Prüfungen vorbereitet werden müsse. «Das ist auf Dauer eine enorme Belastung, wenn die Schule praktisch nie wirklich endet.»

Stress entstehe vor allem dann, wenn Schüler:innen das Gefühl haben, nicht genug Ressourcen zu haben, um ihre Aufgaben zu bewältigen. Es fehle an Zeit, Verständnis oder Unterstützung. «Wenn Lernen auf Kosten der Erholung geht, wird aus normalem Stress eine Belastung», erklärt sie.

Zu den ersten Warnsignalen gehören laut der Psychologin Schlafprobleme, Stimmungsschwankungen, Gereiztheit oder Rückzug von Freunden. Auch ein verändertes Essverhalten und das Gefühl, nichts mehr genießen zu können, seien deutliche Anzeichen. Ignoriere man diese Symptome, könne daraus eine Depression oder sogar eine Panikstörung entstehen.

Sie betont, dass man sich frühzeitig Hilfe holen sollte, nicht erst, wenn es gar nicht mehr geht. Leider seien die Wartezeiten für therapeutische Angebote lang, besonders für Jugendliche. Umso wichtiger sei soziale Unterstützung: «Der größte Schutzfaktor gegen Stress sind stabile, emotionale Beziehungen – Menschen, bei denen man einfach so sein darf, wie man ist und aufgefangen wird.» Dies sei aber keine Selbstverständlichkeit. Ein stützendes, familiäres Umfeld fehle oft dort, wo Eltern ebenso belastet sind und weniger emotional zugänglich für die Sorgen ihrer Kinder.

Auch das Schulsystem müsse dazulernen, sagt sie. Mentale Gesundheit werde in der Schule noch zu wenig berücksichtigt. Themen wie Stressbewältigung, Depression oder psychische Gesundheit sollten stärker in den Unterricht integriert werden. Schulbetriebe hätten zudem eine Verantwortung, das Wohlbefinden ihrer Schüler:innen im Blick zu behalten und einen gesunden Umgang mit Grenzen vorzuleben.

Zum Schluss gibt sie einen Rat, der über den Schulalltag hinaus gilt: «Mut zum Mittelmass.» Nicht alles müsse perfekt sein, betont sie. Manchmal sei es besser, 70 Prozent zu geben und dafür am Abend noch Zeit für sich selbst zu haben. Auch kleine Pausen, in denen wir uns erlauben nichts zu tun, Bewegung, Natur und soziale Kontakte seien entscheidend, um das innere Gleichgewicht zu bewahren.»

Am Ende bleibt die Erkenntnis: Der Leistungsdruck an Schulen ist längst mehr als nur ein vorübergehendes Phänomen. Er zieht sich durch den Alltag vieler Jugendlicher, raubt ihnen Schlaf, Leichtigkeit und manchmal auch die Freude am Lernen. Während über Noten, Prüfungen und Stundenpläne offen gesprochen wird, bleibt die mentale Gesundheit oft ein Randthema, obwohl sie die Grundlage für alles andere ist.

Die Worte der Schulpsychologin klingen deshalb wie ein Appell: Es braucht mehr Raum für Erholung, Verständnis und echte Pausen in der Schule ebenso wie zu Hause. Denn wer ständig funktionieren muss, kann auf Dauer nicht wachsen. Vielleicht beginnt Veränderung genau dort, wo Jugendliche lernen dürfen, dass ihr Wert nicht von Zahlen abhängt, sondern davon, wie gut sie mit sich selbst umgehen.

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