Schweizer in Hitlers Diensten: Die vergessene dunkle Seite der Schweizer Neutralität

Von Lionel Moreira da Silva, Carlo Tretter & Mika Sturzenegger / Kantonsschule Hohe Promenade / November 2025

 

Erstaunlich genug, aber circa 2000 Schweizer haben, militärisch im Nazi-Deutschland ausgebildet, für die Waffen-SS gekämpft. Kaum einer wurde nach dem Krieg juristisch zur Rechenschaft gezogen.

Soldaten der Waffen-SS werden ausgezeichnet.

Die beiden Schweizer Franz Riedweg und Benno Schäppi sind heute kaum bekannt. Beide spielten im Zweiten Weltkrieg aber eine bedeutende Rolle: Sie dienten freiwillig in der Waffen-SS im Dritten Reich. Franz Riedweg, ein Arzt aus Luzern, interessierte sich stark für Politik. Er schloss sich der Schweizer faschistischen Bewegung, der Nationalen Front, an. Als Mitglied der Organisation „Aktion gegen den Kommunismus“ prägte seine Ablehnung dieser politischen Weltanschaung sein ganzes Leben. Benno Schäppi absolvierte die Handelsschule in Zürich und war tätig als Journalist. Er wurde später Landespropagandaleiter der Nationalen Front. Zudem war er Mitgründer des „Bunds für Eidgenossen nationalsozialistischer Weltanschauung“. Ihre politische Überzeugung führte beide nach Deutschland, wo sie, wie viele andere Schweizer, den Kampf gegen den Kommunismus unterstützen wollten. Sie waren nicht die Einzigen Freiwilligen Schweizer in der Waffen-SS.

Ungefähr zweitausend freiwillige Schweizer kämpften während des Zweiten Weltkriegs für die Waffen-SS und die Wehrmacht des Dritten Reiches. Etwa 1200 von ihnen lebten schon vor Kriegsbeginn in Deutschland, weitere 800 reisten erst während des Krieges dorthin. Viele von ihnen waren jung und kamen aus einfachen Verhältnissen.


Armut und Propaganda zog sie nach Deutschland

Die Gründe für ihren Schritt waren unterschiedlich: Einige suchten Arbeit, andere glaubten, gegen den Kommunismus kämpfen zu müssen. Plakate und Reden zeigten den Krieg als Verteidigung Europas gegen den Bolschewismus. Bolschewismus war im Dritten Reich der von den Nationalsozialisten als Propaganda benutzte Begriff für den Kommunismus, den sie als politische Bedrohung und als „jüdisch-bolschewistische Verschwörung“ darstellten. Ein Freiwilliger, der anonym bleiben möchte, sagte in einem Interview mit SRF, dass er beeindruckt gewesen sei von den Paraden, dem gesamtgesellschaftlichen Ansehen und dem „Nimbus“ der Waffen-SS.

Franz Riedweg und Benno Schäppi sahen in Deutschland die Möglichkeit, sich einer grösseren Masse politisch Gleichgesinnter anzuschliessen. Und das taten sie auch, nämlich freiwillig. Ihre Beweggründe waren nicht ökonomischer Natur. Riedweg stammte aus einer reichen Hotelierfamilie. Er trat noch vor Kriegsbeginn den Nationalsozialisten bei und heiratete die Tochter des deutschen Reichskriegsministers von Blomberg. Riedweg und Schäppi waren schon in der Schweiz in rechten Bewegungen aktiv und lehnten den Kommunismus entschieden ab. Riedweg zog 1938, Schäppi 1941 nach Deutschland.


Über die Grenze in die Waffen-SS, der Weg der Freiwilligen

Nach der Ankunft in Deutschland wurden die Schweizer Freiwilligen zuerst auf ihre militärischen Aufgaben vorbereitet. Die Ausbildung war streng, disziplinarisch und stark auf den Krieg ausgerichtet. In bestimmten Lagern, wie Sennheim im Elsass, erhielten sie körperliches Training und politische Schulungen. Sie mussten lange Märsche absolvieren, Übungen mit Waffen durchführen und den Umgang mit Gewehren und Pistolen erlernen. Gleichzeitig wurden sie mit der Ideologie der Nationalsozialisten vertraut gemacht und hörten regelmäßig Nachrichten der Wehrmacht, um über den Kriegsverlauf informiert zu sein. 

Benno Schäppi als Angehöriger der Waffen-SS 1942. Er arbeitete als Berichterstatter. (Foto von Link)

Riedweg und Schäppi übernahmen wichtige Aufgaben im Dritten Reich. Riedweg war Arzt, hatte einen Einsatz beim Polen-Feldzug und stieg in der SS bis zum Obersturmbannführer auf. Er liess das Panoramaheim erbauen und anschliessend leitete er die Germanische Leitstelle des SS-Hauptamtes in Berlin, die Freiwillige aus ganz Europa anwarb. Schäppi war als Kriegsberichterstatter an der Ostfront tätig. 1942 übernahm er das Panoramaheim und war führendes Mitglied des „Bund der Schweizer in Grossdeutschland (BSG)“.                                                                                                                                                   

Man beförderte ihn zum Untersturmführer und gab ihm das Kommando über eine Propaganda-Kompanie des Dritten germanischen SS-Panzerkorps.

Das Panoramaheim, bevor es bombardiert wurde. (Foto von: Link)

Im Panoramaheim, das durch Riedweg erbaut und unter anderem von Schäppi geleitet wurde, wurden Schweizer und Liechtensteiner aufgenommen, überprüft und für den Dienst vorbereitet. Das Heim bot Platz für etwa vierzig Männer. Sie lebten dort für einige Wochen, machten Sport, hörten Vorträge und wurden ideologisch auf Linie gebracht. Ein Grossteil dieser zeitweiligen Bewohner meldete sich danach zur Waffen-SS.  Schweizer wurden laut NS-Rassenideologie als „germanisch-artenverwandt“ eingestuft. Das Panoramaheim wurde nicht nur zur Rekrutierung verwendet, sondern auch dafür, kriegsrelevante Informationen über die Schweiz zu erhalten, zum Beispiel wie die Schweiz sich vor einer möglichen Invasion vor dem Deutschen Reich zu schützen plante (Reduite). 1943 wurde das Panoramaheim durch einen Bombenangriff vollständig zerstört und wechselte den Standort.

 

Was nach dem Krieg mit diesen Schweizern passierte

Seit 1927 verbietet das Schweizer Gesetz den Dienst in fremden Armeen. Nach dem Krieg gab es circa 100 Strafverfahren gegen die Schweizer, die bei der Waffen-SS gedient haben. Die aus Nazi-Deutschland Zurückgekehrten mussten sich vor dem Schweizer Militärgericht erklären.

Auch auf der Seite der Alliierten kämpften einige Schweizer Freiwillige, doch ihre Zahl war bedeutend kleiner. Während rund zweitausend Schweizer für das Dritte Reich kämpften, schlossen sich nur wenige der Résistance oder den alliierten Streitkräften an.

Franz Riedweg der ranghöchste Schweizer in der Waffen-SS. (Foto von: Link)

Riedweg war ein Jahr in britischer Kriegsgefangenschaft und wurde 1947 zu 18 Jahren Zuchthaus verurteilt, er trat diese Strafe aber nie an und die Schweiz verzichtete auf eine Auslieferung. Er arbeitete in München als Arzt und erfuhr keine rechtlichen Konsequenzen. Schäppi war nach dem Krieg für 2 Jahre in US-Kriegsgefangenschaft, kehrte 1947 in die Schweiz zurück und wurde zu 16 Jahren Zuchthaus verurteilt. Er wurde jedoch frühzeitig entlassen und in die BRD abgeschoben. Ein Freiwilliger sagte gegenüber dem SRF, in derselben Sendung, dass er seine Tätigkeit in der Waffen-SS nie bereut habe.

2018 sagte der Historiker Peter Huber dem SRF gegenüber, dass die Forschung über Schweizer Freiwillige in der Waffen-SS bis heute nicht ausreichend aufgearbeitet sei. Ihre Geschichte bleibe ein offenes Kapitel der Schweizer Vergangenheit. Man habe bemerkt, dass über die Strafverfahren vieles fehle, man müsse die Strafverfahren besser aufarbeiten. Durch einen Bombenangriff in Potsdam während des Zweiten Weltkriegs wurden viele Akten der Waffen-SS vernichtet, weshalb viele Informationen fehlen. Der Stand der Aufarbeitung der Schweizer Freiwilligen ist nicht hinreichend erforscht. Die fehlende Aufarbeitung dieser Themen trägt zur in der Schweiz verbreiteten Meinung bei, dass die Schweiz neutral gewesen sei.

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