Greta Thunberg und die Gaza-Flottille – eine Aktion zwischen Hilfe, Risiko und Moral
Von Federico Pipino & Ben Sack / Kantonsschule Hohe Promenade / November 2025
Aktivistin Greta Thunberg auf der Madleen, welches den italienischen Hafen von Catania am 1. Juni Richtung Gaza verlassen hat. (Foto: Reuters)
«An die antisemitische Greta Thunberg und ihre Freundinnen und Freunde, die Hamas-Propaganda nachplappern, sage ich klar: Kehrt um.» – Israels Aussenminister Israel Katz
«Silence is complicity. You cannot be neutral in an unfolding genocide.» – Greta Thunberg
Diese beiden Sätze zeigen, wie sehr die Aktion von Greta Thunberg die Welt spaltet. Während die einen sie für ihren Mut bewundern, sehen andere sie als parteiisch oder sogar antisemitistisch an.
Im Sommer 2025 schloss sich Thunberg der sogenannten «Global Sumud Flotilla» an – mehreren Schiffen, die Hilfsgüter nach Gaza bringen und auf die humanitäre Notlage dort aufmerksam machen wollten. Laut Reuters und Al Jazeera wurde die Flottille von der israelischen Marine gestoppt, und mehrere Aktivistinnen, darunter Thunberg, wurden festgenommen und später nach Griechenland abgeschoben.
Die Aktion löste weltweit Diskussionen aus, nicht nur über Politik, sondern auch über Moral. Jede Seite sieht das Geschehen aus einer anderen Perspektive, mit eigenen Überzeugungen und Werten.
Israel «verteidigt» ihre Bevölkerung
Zerrissenen Flaggen Israels und Palästinas symbolisieren ihren anhaltenden Konflikt. (Ersteller: Racide | Credit: Getty Images/iStockphoto/Urheberrecht: Racide)
Für Israel steht die Sicherheit der eigenen Bevölkerung an oberster Stelle. Die Regierung argumentiert, dass seit Jahren Raketenangriffe der Hamas das Land bedrohen. Deshalb gilt die Seeblockade von Gaza als notwendiger Schutz. Israel will verhindern, dass Waffen über den Seeweg ins Land gelangen.
Aus dieser Perspektive ist Moral eng mit Selbstschutz und Verantwortung verbunden. Wer das Land regiert, soll Leben schützen, auch wenn dies bedeutet, harte Massnahmen zu ergreifen. Israels Aussenminister Katz nannte Thunbergs Verhalten «antisemitisch», weil er darin eine Verletzung dieser moralischen Pflicht sah: Wer, so die israelische Sicht, die Blockade kritisiert, ohne den Hintergrund des Terrors zu erwähnen, gefährde das Überleben der eigenen Bevölkerung.
Moral und Überleben in Gaza
In Gaza ist die Lage seit Jahren schwierig. Laut den Vereinten Nationen fehlt es an Lebensmitteln, Strom und medizinischer Versorgung. Viele sehen in der Flottille ein Zeichen der Solidarität und ein Symbol für die Würde der Bevölkerung, die unter der Blockade leidet.
Für viele Palästinenserinnen und Palästinenser bedeutet Moral in dieser Situation Überleben und Selbstbehauptung. Hilfe von aussen wird als moralisch richtig empfunden, weil sie das Leiden lindert. Wer sich, wie Greta Thunberg, öffentlich auf ihre Seite stellt, wird dort als mutig angesehen.
Gleichzeitig gibt es auch in Gaza Stimmen, die sagen, dass symbolische Aktionen zwar Hoffnung geben, aber keine echten Veränderungen bringen. Diese Sicht verbindet Moral mit der Realität: Man soll helfen, aber auch wissen, dass jede Aktion Verantwortung trägt. Insgesamt steht die palästinensische Moral im Zeichen des Rechts auf Leben, Freiheit und internationaler Zusammenhalt. Graphic: Christine Daniloff
Schweiz und EU setzen auf Diplomatie
Die Waage mit «Right“ und „Wrong“ steht für den Unterschied zwischen richtig und falsch. (Graphic: Christine Daniloff)
Die Schweiz und die Europäische Union reagieren traditionell vorsichtig in internationalen Konflikten. Beide setzen auf Diplomatie, Völkerrecht und humanitäre Hilfe. Nach der Festnahme der Flottille erklärte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten laut FDFA, man fordere «sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe», betonte aber auch, dass alle Aktionen mit den zuständigen Behörden koordiniert werden müssten.
Für die Schweiz ist Neutralität eine moralische Grundhaltung. Sie bedeutet, Hilfe zu leisten, ohne Partei zu ergreifen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz mit Sitz in Genf arbeitet nach demselben Prinzip: Hilfe soll unparteiisch, neutral und unabhängig sein. Diese Haltung schützt das Vertrauen in humanitäre Organisationen, auch wenn sie manchmal als zu passiv empfunden wird.
Die Europäische Union versucht ebenfalls, zwischen den Seiten zu vermitteln. Sie fordert humanitäre Hilfe für Gaza, kritisiert aber unkoordinierte Einzelaktionen wie die Flottille. Die Moral der EU basiert auf dem Glauben an internationale Zusammenarbeit und Rechtssicherheit. Hilfe ist moralisch richtig, aber sie soll geordnet, transparent und rechtlich sauber sein.
Historische Ereignisse prägen die Moral
Greta Thunbergs Satz «You cannot be neutral in an unfolding genocide» wurde weltweit diskutiert. Für ihre Unterstützer ist das moralisch klar: Wenn Menschen sterben, darf man nicht still sein. Für ihre Kritiker überschreitet sie damit eine Grenze, weil das Wort «Genozid» (Völkermord) juristisch klar definiert ist und Israels Vorgehen in ein falsches Licht stellen könnte.
Die Auseinandersetzung um Greta Thunbergs Gaza-Aktion zeigt, wie unterschiedlich Moral verstanden wird.
Für Israel bedeutet Moral Schutz des eigenen Lebens und Staates.
Für Palästina bedeutet Moral Überleben, Würde und internationale Unterstützung.
Für die Schweiz und die EU bedeutet Moral Neutralität, Recht und Menschlichkeit.
Greta Thunbergs Bootsfahrt hat keine politischen Grenzen verändert, aber sie hat etwas anderes erreicht: Sie hat sichtbar gemacht, dass jede Gesellschaft ihren eigenen moralischen Ansichten hat und diese Ansichten durch mehrere Faktoren unterschiedlich sein können.