Von vergessenen Briefen zu Stolpersteinen – Vergangeheitsaufarbeitung eines jüdischen Zürchers
Von Selma Spaniol & Mathilda Thiel / Gymnasium Hohe Promenade / November 2025
Patrick Gutenberg entdeckt einen Stapel vergessener Briefe von einer ihm unbekannten Tante seiner Grossmutter. Schnell merkt er, dass diese Verwandten im Zweiten Weltkrieg ermordet wurden. Er stürzt sich in die Recherche über diese vergessen Namen. Später setzt er für sie Stolpersteine, die für immer an sie erinnern sollen.
Die für Lea und Moritz Stemmer gelegten Stolpersteine und ein Foto, die die beiden abbildet (Foto von: Briefe aus der Vergangenheit)
Als ein in Zürich aufgewachsener Jude, musste Patrick Gutenberg sich schon früh mit dem Thema Holocaust auseinandersetzten. Im Gespräch mit ihm und auch im Artikel ‘Briefe aus der Vergangenheit’ erzählt er, dass es schon in seiner Kindheit aufkam. «Mit fünfzehn habe ich mehr Konzentrationslager mit Namen und Ortsangabe gekannt als Fussballclubs.» Aber erst mit dem Fund der Briefe und der darauffolgenden Recherechewurde ihm klar, wie nahe er dem Holocaust ist. So sagt er: «Mir wurde die Vebindung bewusst. Ich kannte keine Schoah Opfer, die nachvollziehbar mit mir verwandt waren.»
2016, als Patrick Gutenberg das Haus seines kürzlich verstorbenen Vaters ausräumt, findet er einen Stapel Briefe. Später findet er heraus, dass diese von der Tante seiner Grossmutter abstammen. Diese Tante, Lea Stemmer, hat über mehrere Jahre Briefe an seine Oma Leitschi geschrieben. Über die Existenz dieser Urgrosstante wusste Patrick bis zu diesem Zeitpunkt nichts.
Bild der gefundenen Briefe (Quelle: Briefe aus der Vergangenheit)
Als er die Briefe fand, wurde ihm sofort bewusst, dass es sich um etwas mit grosser Bedeutung handelt. Sie befanden sich in erstaunlich gutem Zustand. Auf dem Absender stand: Deutschland 1938. Obwohl es ihm in diesem Moment nicht möglich war sich mit diesen Briefen auseinander zu setzen, war ihm bewusst, dass er diese nicht wegwerfen konnte, und nahm sie mit nach Hause. März 2020 öffnet er zum ersten Mal die Briefe. Ab diesem Zeitpunkt beginnt seine Recherche nach der Geschichte seiner vergessenen Verwandten. Den grossen Meilenstein erreichte er dann am 27. Mai 2021. An diesem Tag setzte Patrick Stolpersteine für Lea Stemmer und Moritz Stemmer, die im Zweiten Weltkrieg ermordet wurden.
Geschichte der Stolpersteine
Das Projekt der Stolpersteine wurde 1992 von Günter Demning ins Leben gerufen. Die 92x92 Millimeter Messing Tafeln erinnern an Opfer des Nationalsozialismus. Denn wie es auf ihrer Website steht: «nur in Erinnerung bleibt, was wir uns in Erinnerung rufen» und «nur jene im Gedächtnis bleiben, an die wir uns erinnern können». Stand 2024 wurden 107‘000 Steine verlegt. Davon auch einige in der Schweiz. Selber unterstützen kann man den Verein, indem man Mitglied wird, spendet oder sogar indem man selber einen Vorschlag für einen neuen Stolperstein einreicht.
Seine Reise führt ihn an viele verschiedene Orte in der Welt, er lernt dabei mehr über Tante Lea Stemmer und erfährt dann durch einen Gentest über ihre Ermordung und die ihres Partners im Konzentrationslager. Über die Genealogiewebseite nimmt er dann auch Kontakt zu verwandten aus den USA auf. Durch die erhält er dann endlich ein Bild seiner ermordeten Verwandten. Sie haben endlich ein Gesicht. Nach langer Suche und einen einem grossen Einblick in das Leben und den Mord von Lea und Moritz Stemmer fasst Patrick einen Entschluss, er möchte ein Denkmal für die beiden setzen und stellt einen Antrag an die Organisation von Günter Demning
Er will dabei sein bei der Entstehung der Stolpersteine. Jeder Stolperstein wird von Hand gefertigt. Gutenberg als Fotograf, dokumentiert die Entstehung der Stolpersteine. Auch bei der Versetzung ist an der Heider-Strasse 22 in Hamburg ist er dabei.
Kontroverse um die Stolpersteine
Stolpersteine können jedoch auch als kontrovers angesehen werden. So sagt zum Beispiel die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Charlotte Knobloch in einem Statement: „Diese Steine, die eingravierten Namen und somit die Opfer selbst werden zwangsläufig wieder mit Füßen getreten - sei es aus Achtlosigkeit oder ganz bewusst. Sie können bespuckt, verdreckt, verschmiert, mit tierischen Exkrementen verunreinigt oder gar absichtlich geschändet werden.“
Dieser Aussage kann Partick Gutenberg nicht zustimmen. Er sagt: Die Realität zeigt, dass die Stolpersteine ein gutes Projekt sind, dass wahrgenommen wird. Der Vandalismus, der zwar stattfindet, könnte auch stattfinden, wenn diese an der Wand angebracht wären.“
Durch das Setzen konnte er auf eine gewisse Art abschliessen mit dem Thema. Infolge seiner Aufarbeitung reiste er nach Polen, wo er das Ghetto in Lodz besucht hat. Dort wurden Lea und Moritz 1941 hindeportiert. Den Ort an dem Lea auf unmeschlichte Art und Weise umgebracht wurde besuchte er ebenfalls. Auch wenn er damit irgendwie abschliessen konnte, will er in Zukunft diese Reise wiederholen und nochmals nach Polen reisen. Die Botschaft, die Stolpersteine vermitteln hat Gutenberg ermöglicht. Durch seinen Fund und seiner Recherche, stellte Patrick Gutenberg sicher, dass Lea Und Moritz Stemmer nie mehr in Vergessenheit geraten.